Fertig mit nett! Im Ernst?
“Fertig mit nett!” oder “Done Being Nice!”
So heisst mein bestbesuchter Workshop.
Viele Weiterbildungsanbieter (die gesamte Romandie, deshalb gibt es keinen französischen Titel) hingegen sagen mir, dass dieser Titel gar nicht gehe. Auch das Wort “Machtspiele” dürfe höchstens in der Kursbeschreibung vorkommen. Anderenfalls würden die Geschäftsleitung, das HR, die Führungskräfte und andere Entscheider*innen den Kurs nicht akzeptieren. Zu provokativ. Ich suche dann jeweils einen alternativen Titel, was zur Folge hat, dass ich vor einigen Kursen selbst noch einmal in der Ausschreibung nachschauen muss, wie das Ding denn nun heisst.
Umgekehrt ist es ja gerade dieser Titel, der meine Teilnehmerinnen anzieht:
”Genau, das ist es, immer bin ich zu nett!”, "Ich werde ausgenutzt”, “Tönt spannend!?”
Wie muss man diesen Titel denn nun verstehen? Weshalb ist es wichtig, dass Frauen nicht immer nett sind? Und weshalb ist es wichtig, dennoch möglichst höflich und freundlich zu sein?
Auf die Frage: “Kennst du Frau Müller?” erhält man nicht selten die Antwort: “Ja, die ist nett”. Aber: “Professor Müller? Ja, der ist nett”. Wohl eher selten. “Nett” ist keine Qualifikation. “Nett” ist nett, aber vollkommen harmlos. Der Status der als nett beschriebenen Person sinkt umgehend. Wie wäre es stattdessen mit:
“Die meinst du? Die ist kompetent”.
“Die Müller? Ein freundlicher Mensch”.
“Die kenne ich nicht. Ich habe aber gehört, dass sie eine super Führungsfrau ist”.
Die Zuschreibung “nett” durch andere ist schon übel genug. Noch kritischer aber wird es, wenn das “Nett-sein-Wollen” unser innerer Antreiber ist. Meist haben wir das in der Kindheit gelernt, Frauen mehr als Männer. “Sei nett, lass die anderen doch mal vor, sei nicht so laut, man prahlt nicht”. Wer das verinnerlicht hat, strebt automatisch “Nett-Sein” an. Und nicht, wie Sie jetzt vielleicht denken, weil man in erster Linie nett sein will. Sondern weil man die Reaktionen der anderen fürchtet, wenn man nicht nett ist. Menschen, die immer nett sein wollen, können übrigens auch schlecht Nein sagen. Sie können nicht gut delegieren. Sie können sich schlecht verteidigen. Sie lächeln unsicher, selbst wenn sie angegriffen werden. Das Lächeln sagt: “Tu mir nichts, ich bin vollkommen harmlos”.
Dieses Nett-Sein meine ich, wenn ich sage “Fertig mit nett!”. Das Nett-Sein, das einen kleiner macht. Das Nett-Sein, das Durchsetzungsvermögen ausschliesst. Das Nett-Sein, das die eigene Karriere bremst.
Stellen Sie sich vor, es wird eine Führungsperson gesucht. “Wir befördern Frau Müller. Die ist so nett!” Wohl kaum.
Was können Sie tun, um nicht nur als nett wahrgenommen zu werden?
Gestehen Sie sich zu, nicht nett sein zu müssen, wenn andere Sie schlecht behandeln.
Ersetzen Sie Ihren inneren Antreiber “Ich bin nett!” durch “Ich werde respektiert.”
Kommunizieren Sie klar und höflich, was für Sie in Ordnung ist und was nicht.
Lächeln Sie nicht, wenn Sie angegriffen werden. Sagen Sie “So nicht!”
Lernen Sie Nein zu sagen.
Ich weiss. So schnell trainieren sich alte Gewohnheiten nicht weg. Seien Sie nicht zu streng mit sich selbst. Machen Sie kleine Fortschritte.
Damit es eines Tages heisst: “Die Müller sollten wir befördern. Sie ist kompetent, sie weiss, was sie will, sie entscheidet und kommuniziert klar und ist erst noch ein freundlicher Mensch.”.
Et voilà!