Machen Sie sich (noch) Illusionen?

 

Letztes Jahr veröffentlichte der Spiegel ein Interview mit einem Düsseldorfer Professor zum Thema Unikarrieren mit dem Titel «Am Anfang versuche ich, jungen Menschen jegliche Illusionen zu rauben». Was sich brutal anhört, ist in Wahrheit ziemlich anständig. Der Weg der akademischen Karriere ist steil und die Luft wird mit jedem Schritt nach oben dünner. Nur ganz wenige schaffen es an die Spitze, Frauen immer noch wesentlich seltener als Männer. Weshalb also nicht gleich ehrlich sein mit den jungen Menschen? Sie darauf vorbereiten, dass sie kämpfen werden müssen, wenn sie es ganz nach oben schaffen wollen, dass sie höchstwahrscheinlich scheitern werden? Ich würde hinzufügen, dass es entscheidend ist angesichts dieser Realität einen Plan B in der Hosentasche zu haben, damit man nicht nach der Dissertation oder noch schlimmer nach der Habilitation netzwerk- und arbeitslos da steht.

Gern zitiere ich den befragten Professor noch mit ein paar weiteren klaren Aussagen:

  • «Manche machen den Fehler, dem Bild zu glauben, das wir als Gesellschaft von der Universität zeichnen. Oder das die Politik in Sonntagsreden beschreibt: Forschung als edle Suche nach Wahrheit und Erkenntnis.»

  • «… wird die Universität für den akademischen Mittelbau zu einer Art Durchlauferhitzer …»

  • «…publizieren, Vorträge auf Tagungen halten, Drittmittel einwerben, Konferenzen organisieren. Am besten schreiben sie noch einen Blog über ihre Arbeit, Wissenschaftskommunikation ist auch wichtig. … Man muss die Karriere schon früh darauf ausrichten, Drittmittel einzuwerben. Das ist die harte Währung

Der dritte Punkt zählt auf, was es für den Erfolg im «Durchlauferhitzer» braucht, nämlich Publikationen, Sichtbarkeit und Selbstmarketing und vor allem Drittmittel. Dies würde auch Daniel Hamermesh von der University of Texas at Austin unterschreiben. 2006 publizierte er in einem Newsletter zehn Erfolgsregeln für Studierende (vollständiger Newsletter). Drei davon lauten:

  • «Work on several topics at once.»

  • «Unless you are at a liberal arts college that stresses teaching, don’t over-prepare your classes.»

  • «Attend seminars – and try to meet with the speakers.»

Publizieren und Netzwerken kommt vor Teaching, obwohl an Universitäten selbstverständlich behauptet wird, dass die Lehre von grösster Bedeutung ist. Für Studierende sind ja auch zunächst begnadete und inspirierende Wissensvermittler*innen besonders wichtig. An einem gewissen Zeitpunkt in der Karriere müssen erstere aber begreifen, dass sie wohl kaum eine Spitzenposition erreichen werden, wenn sie sich vor allem auf die Lehre konzentrieren. Gerade Frauen tappen oft in diese Falle und stellen zu spät fest, dass es ihnen an Publikationen und Netzwerk fehlt, wenn es darum geht eine Professur zu ergattern.

Was sagen denn eigentlich Betroffene zu ihrer Situation? Unter dem Hashtag #IchbinHanna schütteten sie eine Zeit lang auf Twitter ihr Herz aus. Ihre Kritik bezog sich in erster Linie auf die befristeten Kettenverträge, denen der Mittelbau ausgesetzt ist. Die Angehörigen des Mittelbaus sehen sich als Gruppe von Wissenschaftler*innen behandelt, die ohne die Befristungen «Stellen verstopfen» würde. Die Ungewissheit über ihre Weiterbeschäftigung nach Ablauf des befristeten Vertrags wird mit zunehmendem Alter und allfälligen familiären Verpflichtungen schwieriger und zuletzt untragbar. Bereits Max Weber beschrieb 1917 das «Hasard Wissenschaft» und meinte damit ebendiese Karrierephase des Zufalls und der Fügung, eine unsichere Zeit mit vielen geographischen Wechseln, wenig Verdienst und Vorhersehbarkeit der nächsten Schritte.

Zu dieser Unsicherheit hinzu kommt, dass der Umgang mit Konkurrent*Innen in den höchsten Rängen zusehendes rauer wird. Das muss man irgendwie aushalten können. Wer zu viel persönlich nimmt, sich nicht verteidigen oder auch einmal angreifen kann, scheitert. Ein Professor gestand mir einmal nach ein paar Gläsern Rotwein: «Bis zum Doktorat unterstützen wir die Studierenden, danach lassen wir sie auflaufen oder greifen sie an». Ausnahmen bilden hier die wenigen auserwählten Ziehsöhne (und ganz selten Ziehtöchter).

Was hilft denn nun? Es gibt keine Patentrezepte für die universitäre Laufbahn. Aus meiner Erfahrung als Coach und Leiterin von Workshops zu diesem Thema kann ich zumindest ein paar Hinweise geben, die helfen können, zielstrebiger und gleichzeitig gelassener auf dem akademischen Weg zu sein:

  • Sei schnell: Eine gute Dissertation ist nicht zuletzt eine fertige Dissertation.

  • Erstelle einen Karriereplan, obwohl du nicht weisst, wohin dich der Hasard verschlägt. Ein Plan gibt dir die notwendige Zielstrebigkeit. Verbunden mit Offenheit und Flexibilität davon abzuweichen ist er ein Erfolgsrezept.

  • Netzwerken, netzwerken, netzwerken. Und zwar strategisch, also wiederum mit Plan.

  • Sei nicht naiv: Je höher, umso weniger Freund*innen. Irgendwann steht man unweigerlich in Konkurrenz zueinander. Suche dir einen privaten Freundeskreis ausserhalb deines Fachs.

  • Habe einen Plan B: Was tust du, wenn du die Unikarriere abbrichst? Kennst du Leute in anderen Branchen, in der Verwaltung, im Journalismus, in der Politik? Schreibst du gern für ein breiteres Publikum, willst du in der Prävention, in der Industrie oder im Management tätig sein? Schaffe Kontakte in einem parallelen Umfeld und eigne dir wichtige zusätzliche Kompetenzen an.

Und nicht zuletzt: Vielleicht ist ja die Studienzeit einfach eine der spannendsten und faszinierendsten Phasen deines Lebens. Auch wenn danach etwas anderes kommt.
Ich möchte meine abenteuerlichen Ethnologiejahre jedenfalls nicht missen.
Auch wenn ich meinen heutigen Beruf anschliessend erst noch erfinden musste!

weiterführende links:

hilfreiche workshops: