Wo wären wir heute ohne sie?

 

Der Begriff «Meritokratie» setzt sich aus dem lateinischen meritum (Verdienst) und dem griechischen kratein (herrschen) zusammen. Gemeint ist mit einer Meritokratie eine Herrschaftsform, in der Personen aufgrund ihrer gesellschaftlich bzw. institutionell anerkannten, individuellen „Leistungen“ oder „besonderer Verdienste“ ausgewählt werden, um führende Positionen als Herrscher, sonstige Amtsträger und Vorgesetzte zu besetzen. Im Idealfall nimmt jedes Mitglied der Gesellschaft mit dem Nachweis seines „Könnens“ eine „verdiente“ Position ein. In einem abgeschwächten Sinne wird mit ihr auch eine Regierungsform bezeichnet, die Kompetenz und formelle akademische Ausbildung betont (Wikipedia).

Schön wär’s. Leider ist es in der Regel nicht so, dass die fachlich Besten gewinnen, obwohl dies immer wieder behauptet wird. Man stelle sich vor, es würden nur die fachlich Besten an der Spitze von Unternehmen, Universitäten oder Staaten sitzen. Weshalb wären dann so wenige Frauen darunter? Gewisse Nationalitäten, Generationen und Hautfarben untervertreten? Weil diese weniger kompetent sind? Weniger intelligent? Alle nicht wollen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass das irgendjemand allen Ernstes behaupten würde.

Wenn wir einen Blick auf das Feld werfen, in dem es definitiv ums Bessersein und um höchste Intelligenz gehen sollte, nämlich die Wissenschaft, werden wir feststellen, dass auch da nicht immer die Person die Meriten erntet, die sie effektiv verdient hätte.

Wo stünde unsere Wissenschaft heute, wenn SIE nicht gewesen wären? Hervorragende Wissenschaftlerinnen haben sich in der Forschung hervorgetan und Wesentliches geleistet. Nicht immer haben sie sich aber «einen Namen» machen können, weil sie lange Zeit ungenannt blieben oder ihre Arbeiten gar von Kollegen gestohlen wurden.

Lassen Sie uns eine Auswahl dieser Forscherinnen anschauen und ein wenig dazu beitragen, dass noch mehr Frauen und Männern von ihnen erfahren und ihre Namen und Leistungen die angemessene Verbreitung finden. Die Aufzählung ist selbstverständlich unvollständig.

Vera Rubin: Sie wurde 1928 geboren und konnte als erste beweisen, dass dunkle Materie im All tatsächlich existiert. 1993 zeichnete Bill Clinton sie mit der «National Medal of Science» aus.

Rosalind Franklin: Sie wurde 1920 geboren und trug als Biophysikerin wesentlich zur Entdeckung der DNA-Struktur bei. Den Ruhm ernteten ausschliesslich ihre männlichen Kollegen Wilson, Watson und Crick, die 1962 den Nobelpreis erhielten. Franklin war vier Jahre zuvor verstorben.

Grace Hopper: Sie wurde 1906 geboren und kam 1940 auf die Idee, eine einfach verständliche Computersprache zu erschaffen und leistete entscheidende Vorarbeit für die Entwicklung von COBOL. 1947 legte eine Motte während ihrer Arbeiten ein Computerrelais lahm. Grace klebte die tote Motte in ihr Logbuch und schrieb dazu: «First actual case of bug being found.» Schon mal etwas von «debugging» gehört?

Bessie Coleman: Sie wurde 1892 als schwarze Frau in den USA geboren und schaffte es trotz ihres rassistischen Umfelds den internationalen Pilotenschein zu machen. Danach unterrichtete sie andere Frauen in der Luftfahrt.

Mary Anning: Sie wurde 1799 geboren und sammelte professionell Fossilien. Sie wurde damit zu einer der ersten Paläontologinnen und belegte mit ihren Funden das Aussterben von Tierarten. Sie war auch wesentlich an den ersten Dinosaurierfunden beteiligt.

Lisa Meitner: Sie wurde 1878 geboren und war die zweite Frau, die an der Universität Wien in Physik promovierte. Zu den Experimenten des Chemikers Otto Hahn mit Uran lieferte sie als Physikerin den theoretischen Hintergrund. Gemeinsam mit ihrem Neffen Otto Frisch schuf sie schliesslich die theoretische Grundlage zur Kernfusion. Hahn veröffentliche die Ergebnisse ohne Nennung Meitners und erhielt dafür 1945 allein den Nobelpreis.

Es gab und gibt zum Glück auch Frauen mit Nobelpreis. Als erste Frau erhielt die Physikerin Marie Curie 1903 den Nobelpreis in der Kategorie Physik. Sie ist bisher auch die einzige Frau, die zwei Nobelpreise erhalten hat. Bis und mit 2020 erhielten 794 Männer und 57 Frauen einen der begehrten Preise. 33 der Frauen-Nobelpreise sind in den Kategorien Literatur und Frieden zu finden, 22 in den Physik, Chemie, Physiologie und Medizin und zwei in den Wirtschaftswissenschaften.

Auch wenn Frauen heute in Forschung und Wissenschaft etwas leichter zu Ruhm und Ehre kommen, haben sie es dennoch nach wie vor schwerer als ihre männlichen Kollegen. Sie müssen sich schon früh in ihrer akademischen Karriere bewusst und hartnäckig dafür einsetzen, dass ihre Leistungen nicht untergehen. Leider höre ich immer wieder in Einzelcoachings von Frauen, dass ihr Name auf einer Publikation fehlte oder auf einem niederrangigen Platz aufgelistet war.

Was können Akademikerinnen tun, damit sie nicht übersehen und ihre Leistungen versteckt oder gar gestohlen werden?

Zu Beginn eines Forschungsprojekts schriftlich vereinbaren, wo und wie genau ihr Name in der Publikation genannt wird.

Gut überlegen, wem sie genau was und wann über ihre Forschung erzählen.

Sich international vernetzen und viele öffentliche Auftritte für die Präsentation ihrer Arbeiten nutzen.

Sich ein Hauptgebiet und eine Nische in ihrer wissenschaftlichen Arbeit und für ihre Publikationen suchen.

Genügend Selbstmarketing betreiben, was in diesem Zusammenhang heisst: Eigene Leistungen immer wieder erwähnen, klar benennen, nichts unter Wert verkaufen.

 
Sibyl Schädeli