Wenn deine Mitarbeitenden dich umgehen: Machtspiel oder Führungsschwäche?

Auch wenn Organisationen zunehmend auf flachere Hierarchien und kollaborative Strukturen setzen, bleiben klare Spielregeln und Rollenverteilungen unverzichtbar. Werden diese Regeln ignoriert oder bewusst untergraben, entstehen Frustration, Kommunikationsprobleme und eine geschwächte Teamdynamik. Ein besonders kritisches Beispiel hierfür ist das sogenannte Bypassing. Dabei umgehen Mitarbeitende ihre direkte Führungskraft und wenden sich direkt an deren Vorgesetzte oder andere Entscheidungsträger:innen. Dieses Verhalten kann sowohl ein gezieltes Machtspiel als auch ein Hinweis auf Schwächen in der Führung sein.

Bypassing als Machtspiel

Bypassing wird häufig bewusst eingesetzt, um die Autorität einer Führungskraft infrage zu stellen oder zu untergraben. Hinter diesem Verhalten können verschiedene Motive und Taktiken stehen:

1. Missachtung der Autorität: Mitarbeitende, die ihre Führungskraft als schwach oder inkompetent wahrnehmen, umgehen diese gezielt, um die eigene Macht zu demonstrieren.
2. Positionierung durch Provokation: Manche Mitarbeitende nutzen Bypassing, um ihre Führungskraft zu provozieren und die Reaktion zu testen. Sie hoffen, die Führungskraft in eine defensive Position zu drängen.
3. Profilierung bei der höheren Führungsebene: Direkter Kontakt zur nächsthöheren Instanz kann auch genutzt werden, um sich selbst ins beste Licht zu rücken oder die Führungskraft schlecht aussehen zu lassen.
4. Verdecktes Ausbooten: In extremen Fällen wird Bypassing gezielt eingesetzt, um die Rolle der Führungskraft langfristig zu untergraben und sie aus ihrer Position zu vertreiben.

Bypassing als Ausdruck von Führungsschwäche

Neben gezielten Machtspielen kann Bypassing auch ein Symptom für Schwächen in der Führung sein. Wenn Teammitglieder regelmäßig die direkte Führungskraft umgehen, kann das darauf hindeuten, dass sie diese als ineffektiv oder hinderlich wahrnehmen. Typische Ursachen sind:

1. Mikromanagement: Eine Führungskraft, die ihre Mitarbeitenden übermäßig kontrolliert und in jede Entscheidung eingreift, vermittelt mangelndes Vertrauen. Mitarbeitende versuchen dann, mehr Autonomie zu gewinnen, indem sie die Führungskraft umgehen.
2. Ein Nadelöhr sein: Führungskräfte, die Entscheidungen verzögern oder Prozesse verlangsamen, werden schnell zum Flaschenhals. Um Fortschritt zu erzielen, umgehen Teammitglieder die langsamere Instanz.
3. Mangelnde fachliche Kompetenz: Besonders bei neuen oder fachlich unerfahrenen Führungskräften suchen Mitarbeitende lieber Rat bei höhergestellten oder erfahreneren Personen.
4. Kommunikationsprobleme: Wenn Führungskräfte unklare Anweisungen geben oder schwer erreichbar sind, suchen Mitarbeitende nach Alternativen, um Antworten und Unterstützung zu finden.
5. Fehlende Präsenz: Unsichtbare oder wenig präsente Führungskräfte verlieren schnell an Relevanz, was die Hemmschwelle senkt, sie zu umgehen.

Was tun gegen Bypassing?

Egal ob Bypassing durch Machtspiele oder Führungsschwächen ausgelöst wird, es ist wichtig, das Problem aktiv anzugehen:

1. Nicht verharmlosen: Ignoriere Bypassing nicht, sondern sprich es klar und sachlich an. Verdeutliche den betroffenen Mitarbeitenden, wie wichtig klare Kommunikationswege und die Einhaltung von Strukturen für eine funktionierende Zusammenarbeit sind. Betone, dass solche Verhaltensweisen das Teamgefüge beeinträchtigen und Konflikte verstärken können.
2. Unterstützung durch die eigene Führungskraft einholen: Bitte deine Vorgesetzte oder deinen Vorgesetzten, Bypasser:innen konsequent an dich zurückzuverweisen. Dies signalisiert dem gesamten Team, dass etablierte Strukturen respektiert werden müssen.
3. Gespräche zu Dritt nur in Ausnahmefällen: In schwierigen Fällen kann ein Dreiergespräch sinnvoll sein, um Rollen und Verantwortlichkeiten zu klären. Solche Gespräche sollten jedoch die Ausnahme bleiben, um Bypassing nicht zu legitimieren.
4. Führungsverhalten reflektieren: Überprüfe, ob du als Führungskraft Mikromanagement betreibst, Entscheidungsprozesse verlangsamst oder in deine Kommunikation unklar bist. Gehe gezielt gegen diese Schwächen vor, um deine Position zu stärken und dich als Führungskraft weiterzuentwickeln.

Prävention: Wie du Bypassing vermeidest

1. Klare Rollen und Zuständigkeiten definieren: Mithilfe von Organigrammen und Stellenbeschreibungen oder Tools wie der RACI-Matrix können Verantwortlichkeiten transparent und eindeutig festgelegt werden.
2. Kommunikation stärken: Fördere regelmässige und offene Gespräche, um Missverständnisse zu vermeiden und die Teamdynamik zu stärken.
3. Autorität durch Handeln zeigen: Delegiere Aufgaben klar, triff schnelle Entscheidungen und setze Prozesse konsequent um.
4. Feedback-Kultur etablieren: Eine offene Feedback-Kultur ermöglicht es, Unzufriedenheiten frühzeitig zu erkennen und anzusprechen.
5. Weiterentwicklung fördern: Investiere in deine fachliche und persönliche Weiterentwicklung, um Vertrauen in deine Kompetenz zu stärken.

Fazit

Bypassing ist ein vielschichtiges Problem, das sowohl aus Machtspielen von Mitarbeitenden als auch aus Führungsschwächen resultieren kann. Es schwächt die betroffene Führungskraft, stört die Teamdynamik und kann langfristig die Organisation destabilisieren. Um Bypassing erfolgreich zu adressieren, braucht es eine klare Kommunikation, gezielte Massnahmen gegen Führungsschwächen und Unterstützung durch die Vorgesetzten. Führungskräfte, die aktiv an sich arbeiten und klare Strukturen schaffen, können nicht nur Bypassing verhindern, sondern auch eine Kultur des Respekts und der Zusammenarbeit fördern.